Amphoren des Dareios-Malers

Vergleichsgefäß

Durch seine Arbeiten hat der Dareios-Maler wie kein anderer seiner Zeit die Werke der spätapulischen Vasenmaler beeinflußt. Als erster Maler nutzte er wirklich monumentale Gefäßformate von 1 bis 1,5 m Höhe und gestaltete vorwiegend Szenarien der klassischen Tragödie und Themen des griechischen Mythos. Charakteristisch für seine Arbeit sind vielfigurige Bilder in Kompositionen von zwei oder drei Zonen, teilweise getrennt von opulenten ornamentalen Friesen. Der Dareios-Maler ist ein guter Zeichner, bevorzugt Gesichter in Dreiviertelansicht mit dreieckiger Stirn, leichter Kopfneigung und ausdrucksvollen Augen. Seinen modernen Namen erhielt er nach der Darstellung des Achämenidenkönigs Dareios I. auf der sogenannten Perservase, die sich im Museum in Neapel befindet. Seine Schaffensperiode wird in die Zeit zwischen 340 und 320 v. Chr. datiert.
Heinrich Heydemann ist es zu verdanken, dass in der halleschen Sammlung Fragmente von gleich zwei Amphoren dieses bedeutenden apulischen Vasenmalers vorhanden sind. Er hat sie 1895 in Ruvo erworben, wo sie zusammen in einem Grab gefunden sein sollen.

Inv.-Nr. 214

214: Die Fragmente der Scherben 1–7 sind Bestandteil einer Bildszene, die als „Fesselung Andromedas an den Felsen“ bezeichnet wird. Auf den Scherben 5 und 6 erkennt man den Oberkörper Andromedas, Tochter des Kepheus, mit leicht gesenktem Kopf, die Hände mit Schellen an den Felsen geschlagen. Ihr Blick ist auf die links neben ihr stehende Mutter, Kassiopeia, gerichtet, die ihren ebenfalls gesenkten Kopf in einen Schleier hüllt. War es doch Kassiopeia mit ihrer anmaßenden Behauptung, schöner zu sein als die Nereiden (Meernymphen), die sie in diese Lage brachte. Als Strafe für den Frevel der Kassiopeia ließ Poseidon über das Land des Kepheus Überschwemmungen sowie ein Seeungeheuer kommen. Diese Übel konnten nur abgewehrt werden, wenn Kepheus seine Tochter dem Ungeheuer opfert. Schweren Herzens ließ er sie dafür, wie in dieser Szene dargestellt, an einen Felsen am Meer fesseln. Andromedas spätere Rettung durch Perseus wird hier wohl noch nicht angedeutet. Nach Analogien ist rechts neben der gefesselten Andromeda eher die Darstellung des seelisch gebrochenen Kepheus zu erwarten, der von einem Jüngling gestützt wird. Flankiert wird diese Szene durch Krieger in orientalischer Rüstung, die auf Scherbe 7 erkennbar sind.
Auf dem linken Fragment (1–4) sind die unteren Gewänder und Füße dreier Frauen zu erkennen, die rechten gehören zu Kassiopeia. Die beiden Frauen links neben ihr sind Dienerinnen.
Ein weiteres Fragment (8) stammt von einem anderen Bildfeld und zeigt Beine eines Mannes in hohen Schnürschuhen sowie den Unterkörper einer Frau, die auf einem Altar sitzt. Eine sichere Zuordung zu einer bekannten mythologischen Szene ist bisher noch nicht gelungen.

Inv.-Nr. 215

215: Von dieser Amphora (ursprüngliche Höhe 108 cm) sind Fragmente von zwei Bildfeldern erhalten, die Szenen aus dem Trojanischen Krieg darstellen. Das größere Fragment, zusammengesetzt aus den Scherben 3 bis 13, zeigt in der Bildmitte Kassandra, die Tochter von Priamos und Hekabe. Die ihr von Apollon verliehene Gabe einer Seherin wandelte sich zum Fluch, da sie sich dem Gott verweigerte. Sie konnte nur Unheil voraussagen, fand dafür aber keinen Glauben. So prophezeite sie auch ungehört die Gefahr, die von dem hölzernen Pferd für die Stadt ausgeht, in deren Folge Troja erobert und sie selbst von Aias geraubt wurde und schließlich Agamemnon als Beutefrau folgen musste.
Der Raub der Kassandra durch Aias ist der Inhalt des Bildmotivs. Kassandra versucht sich, schon halb herabgeglitten, am Palladion, dem hölzernen Kultbild der Athena (der Schutzgöttin Trojas), festzuhalten. Aias in weitem Ausfallschritt hat sie bei den Haaren gepackt und reißt sie mit sich. Weiter links ist der Unterkörper der sitzenden Athena zu erkennen, die sich auf einen Schild mit Gorgonen-Medaillon stützt. Rechts neben dem Palladion befinden sich ein nach rechts schreitender trojanischer Krieger, ein Jüngling und Eros.
Zu einem anderen Bildfeld gehört das Fragment aus den Scherben 1 und 2. Es zeigt den Unterkörper einer auf den Stufen eines Altars sitzenden Frau, vor ihr im Boden steckt ein Schwert. Hinter dem Altar sind die Beine eines Mannes erkennbar. Möglicherweise handelt es sich bei dieser Szene ebenfalls um eine Darstellung von der Eroberung Trojas, die Wiederbegegnung von Helena und Menelaos. Helena, Ehegattin des Menelaos, wurde von Paris nach Troja entführt. Erst nach langem Kampf um die Stadt begegneten sich die beiden wieder.

Autor: Ralph Einicke 2002


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