„Lekythos nennen die Athener ein Gefäß, in dem sie den Toten das Duftöl brachten.“ So Platon, Hippias minor 368e. Mit diesem Duftöl wurde der Leichnam also während der Totenklage gesalbt, die Lekythoi, die das Salböl enthielten, hat man dem Toten dann mit ins Grab gegeben.
Seit der Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. wird eine Form mit scharf abgesetzter Schulter gebräuchlich.
Zur Verzierung waren mythologische Darstellungen sehr beliebt. Hier ist eine der 12 Aufgaben dargestellt, die Herakles im Auftrag des Fürsten Eurystheus erfüllen musste. Sie bestand darin, einen Stier von Kreta zu holen und lebend zu Eurystheus zu bringen.
Diese Aufgabe war alles andere als einfach. Mit Kreta war der Stier in der Mythologie vielfach verbunden, deshalb war er gerade hier besonders zu fürchten. Die Mühen, die Herakles mit dem Stier hatte, darzustellen, machten sich so auch verschiedene griechische Künstler zur Aufgabe. Am eindrucksvollsten gelungen ist das wohl dem Meister der Metopen am Zeustempel von Olympia. Durch diagonale Gegenbewegungen, in denen er Herakles mit dem Stier kämpfen lässt, räumt er beiden – Herakles und dem Stier – den gleichen Platz innerhalb des Bildfeldes ein und zeigt so ebenbürtige Stärke, die Herakles‘ Leistung betont.
Dem Vasenmaler, der am Ende des 1. Viertels des 5. Jahrhunderts v. Chr. diese Schulterlekythos gestaltete, lag es hingegen gar nicht im Sinn, die Schwierigkeiten zu schildern, die Herakles mit dem Stier hatte. Das Tier ist hier bereits gefangen, der Zeussohn fesselt es mit einem roten Seil. Dabei fällt die Leichtigkeit auf, mit der der unbekleidete, kleine Herakles das riesige Tier mit dem linken Knie nach unten drückt. Der Held benötigt für seine Tat nicht mehr als ein Viertel des Platzes, den der Stier einnimmt. Links und rechts ist die Szene jeweils von einem keulenartigen Gegenstand gerahmt, über dem Rücken des Stieres befindet sich Herakles‘ zusammengefalteter Mantel.
Zu Eurystheus gebracht, wird der Stier wieder freigelassen, um von Theseus bei Marathon aufs Neue gefangen zu werden. Dieser opferte ihn dann dem Apollon.
Autor: Matthias Kolbe (2002)